Samstag, 15. November 2014

50 Stunden - Der Abschied

Das Drama beginnt am 25.10.2014, einem Samstag.

Am Abend zuvor hatte meine Mutter noch Hunger auf eine Pizza Spinat. Ich solle nicht zu spät nach Hause kommen, damit wir noch bestellen können.
Also ich schnell in den Garten, die Katzen füttern, noch ein bisschen verweilen, dann zurück nach Hause.

Lecker die Pizzeria angerufen, noch einen Coupon eingelöst, und auf das Essen gewartet.
Die Tage davor verbrachte meine Mutter "gezwungener Weise" im Bett, da die Bremse vom Rollstuhl defekt war, und die Reha-Firma nicht in der Lage, dieses zu reparieren. Genau gesagt, der Tuppes hatte die falschen Bremsen mit, und verabschiedete sich mit den Worten: Vielleicht komme ich diese Woche noch vorbei.." Tat er natürlich nicht.
Ich, während dieser Zeit tagsüber in ambulanter Reha, konnte aus Köln telefonisch auch nicht so viel machen. Also E-Mail an die Geschäftsführung und siehe da, die Bremse sollte direkt am Montag ausgetauscht werden.
Leider zu Spät.

Nun kam die Pizza.
Ich habe dann meine Mutter in den Rollstuhl gesetzt, mit einem Bein am Reifen der defekten Bremse. Ab zum Essen gefahren.
Nun wollte meine Mutter noch eine Leggins haben, danach noch eine Jacke.
Meine Pizza war währenddessen nur noch lauwarm, ich dagegen leicht säuerlich.
Zusammen dann gegessen, noch den ein oder anderen Scherz gemacht und später meine Mutter, nach einer Zigarette im Wohnzimmer zurück in´s Bett gebracht. "Erst einmal Danke für alles..." sagte sie.
Später wollte sie im Bett noch eine rauchen, was ich ihr aber wegen eines Brandlochs in der Matratze verboten habe. Heute weiß ich, es hätte ihre letzte sein können.

Später sagte sie noch, als ob sie es geahnt hat: "Vielleicht bin ich morgen ja auch schon tot...."

Das waren die letzten Worte sein sollten, wusste ich nicht.
Dann hätte ich bestimmt anders reagiert als einfach aus dem Zimmer zu gehen.

In der Nacht habe ich dann noch ein paar Male in´s Zimmer geschaut. Da saß sie im Bett und schaute VOX.

Morgens blieb ich - zum Glück - etwas länger liegen und wollte später kaufen.

Hier nimmt das Schicksal seinen Lauf:

Ich komme aus dem Bad, als der Pflegedienst kommt.
Meine Mutter, zitternd, wie bei einem epileptischen Anfall zuckend auf der Seite. Erste Reaktion, RTW und Notarzt verständigt.
Die kamen dann auch und mittels Spritzen und Infusionen ging es in die Neuro-Intensiv des Bonner Uniklinikums.
Nach gefühlten 8 Stunden kam dann der Arzt und brachte mich erst einmal in das Arztzimmer zur Besprechung.

Da war schon der erste Hinweis:
Es wird nichts mehr so sein wie es ist. Gibt es eine Patientenverfügung?

Die Aussage meiner Mutter war klar:
Sie will nicht an Maschinen am Leben erhalten werden.

Somit das erste Mal seit verlassen der Wohnung meine Mutter gesehen.
Augen an die Decke gerichtet, vorerst nur Beatmung per Nase/Mund.
Keine Reaktion auf Ansprache. Die ersten Tränen schießen mir in die Augen.
Arzt empfiehlt nach Hause zu gehen, hier wird sie bestens versorgt, ich könne sowieso nichts machen.

Am nächsten Morgen die Verschlechterung:
Keine Beatmung mittels Maske, sondern per Schlauch im Hals.
Damit gingen meine Hoffnungen schon bergab.

Eine Situation, die meine Mutter bis zum Lebensende nie haben wollte.

So gingen knapp drei Wochen in´s Land. Ohne Verbesserung.
Somit kam dann am Mittwoch der Anruf, den ich quasi erwartet habe.
Der Arzt teilte mit, dass bei den Aufnahmen im CT schwerwiegende Schäden zu sehen sind, sie wäre, wenn sie ohne Beatmung ein schwerwiegender Pflegefall.

Donnerstag wurde dann gegen 12:30 Uhr die Beatmung gezogen.
Ich habe mich, so böse es klingen mag, auf einen raschen Tod meiner Mutter eingestellt.
Aber ich habe ihr Löwenherz vergessen. Klar, kann eine Mutter wie meine, die immer, immer, für mich da war, mich unterstützt hat, wo und wie sie konnte, kann nur ein so starkes Herz haben.

Zu erst ging es rapide und schnell mit den Werten runter, Atem, Herzfrequenz und die anderen Werte im freien Fall. In dieser Zeit sagte ich ihr, dass ich sie liebe, ihr dankbar bin, für alles, was sie immer für mich getan hat. Heulend, wie ein Schloßhund.
Aber: Sie kämpfte!

Das Pflegepersonal wunderte sich, genauso wie die Ärzte. Irgendwas hielt sie auf "loszulassen" Leider ist mir erst viel zu spät eingefallen, wie simpel es war.

So gingen die Stunden in´s Land, in der ich ihre Hand hielt und sagte, warum ich manche Dinge gemacht habe, wie ich sie gemacht habe. Ab und an sah man eine Träne in ihren Augen. Das habe ich sonst nie sehen dürfen.

Somit die Nacht auf der Intensivstation verbracht. Immer - zwischen dem kurzen einschlafen - sie und die Werte auf dem Monitor im Blick. Irgendwann machte der Pfleger den Monitor auf eine Zentralüberwachung, damit ich da nicht immer drauf schaue. Während dieser Zeit bekam ich immer etwas zu Essen, was normal nicht üblich ist. Und meine Gedanken: Ich kann doch nicht essen, wenn meine Mutter hier im Sterben liegt.

Nach dieser Nacht ging es von der Intensivstation auf ein normales Privatzimmer einer Station. Zumindest für eine Nacht.
Hier bekam ich auch ein Bett und Abendessen. Auch hier wieder mein Gedanke: Wie kann ich jetzt essen.

Abends noch dem Pflegedienst schnell beim Umlagern geholfen.
Danach kam eine sehr liebe Freundin, die mir noch ein Ladegerät für das Handy brachte. Nicht selbstverständlich. Andere hätten dieses bestimmt nicht noch abends gemacht. Sie schon... <3 p="">
Kurz blieb sie, unterhielt sich mit meiner Mutter. Arzt kam rein, um zu schauen, Reaktionen zu messen, die aber nicht da waren.
Als der Arzt dann ging, verabschiedete sie sich auch von meiner Mutter, bis Sonntag, da wolle sie ja wiederkommen.

Beim Gang zum Taxi, aber auch im Zimmer waren wir uns einig, dass sie irgendwas "hält" weshalb sie nicht "gehen" will...

Ganz klar:
Ihr Bruder. Um diesen hat sie sich immer Sorgen gemacht. Von Freunden erfuhr ich, dass sie immer gesagt hat: " Der Michael, der kommt zurecht.... Aber was ist mit meinem Bruder?"

Also war der Plan, dass sie am Bett nochmal seine Stimme hören soll. Da ich ihn abends nicht mehr erreichen konnte, tat ich dieses morgens.
Ich bat ihn, wenn ich später nochmals anrufe, ihr zu sagen, dass alles OK ist und sie sich keine Sorgen machen solle.
Dieses machten wir dann auch und über Lautsprecher sagte er, dass er sie liebe.
Da waren wieder die Tränen in den Augen.
Auch das Gesicht entspannte sich. Der Atem wurde etwas ruhiger.

Nun wurden wir auf eine andere Station verlegt. Auch wieder mit einem Bett für mich.

Nach dem Mittagessen und den üblichen Gedanken hielt ich wieder ihre Hand.

Während ich per WhatsApp noch Nachrichten schrieb, trat das ein, wovor ich Angst hatte:

Der Todeskampf begann...
Das Handy auf das Bett geworfen, den Notknopf für die Schwestern gedrückt.
Sie bewegte sich, als ob sie keine Luft mehr bekäme. Bei mir brechen, wie jetzt beim Schreiben, die Dämme.
Heulend, versicherte ich ihr, dass ich da sei.
Die Schwester kam rein und sagte direkt: "Sie wird jetzt friedlich gehen..."

In diesem Augenblick riss auch die Wolkendecke auf und die Sonne strahlte auf sie.

Immer und immer wieder schnappte sie nach Luft, schaute mich an.
Ich versuchte, nicht zu heulen, was aber nicht gelang.
Dennoch versprach ihr ihr, dass ich mich um ihren Bruder und die Katzen kümmere und sie sich endlich frei machen solle, von Schmerzen und Leid.
Gefühlt ging dieses eine halbe Stunde, die Schwester ging und kam kurz danach wieder mit der der Ärztin wieder.

Der Körper meiner Mutter beruhigte sich rasch wieder und sie lag entspannt da. Immernoch scheinte die Sonne.

Da war meine Mama in ein besseres Leben gegangen.
13:40 Uhr. Diese Zeit werde ich nie vergessen.
Der Punkt, an dem ich meine Mama verloren habe.
Fünf Minuten Kampf, der einen großen, verdienten Gewinner hat: Meine Mama. Nie mehr Leid und Schmerzen. Sie wurde nur 60 Jahre alt

Zwischenzeitlich brach ich immer wieder in Tränen aus, weshalb die Ärztin mit Tavor gab. Danach ging es einigermaßen besser.
So dumm es klingt: Ich habe meine Mama fotografiert.
Sie lag dort: Friedlich, ohne Schmerzen oder Sorgen.

Zwischenzeitlich hatte sich der Himmel wieder zugezogen.

Die Schwester brachte Holzkreuz und Kerze ins Zimmer.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits die wichtigsten Menschen informiert.
Kurze Zeit später meine Freunde über Twitter und Facebook.

Meine Mama lebt nicht mehr.

Als ich alleine neben ihr saß, stand ich auf, um das Fenster zu öffnen, damit ihre Seele fliegen kann.

Und auch da, es ist mir egal, ob ihr das glaubt oder nicht, kam die Sonne raus.

Als gläubiger Mensch denke ich, dass der Ewige meine Mama jetzt aufgenommen hat.

Sie ist nun in der Nacht als Stern zu erkennen, der sie schon auf der Erde war.
Sie wird unser Schutzengel sein.

Mehrmals küssend habe ich dann dass Zimmer verlassen. Sie sollte noch etwas ihre Ruhe haben.

Auch wenn die Frage der anonymen Beerdigung oder dem Familiengrab noch nicht entschieden ist, weiß ich:

Ich habe, neben 34 Jahren,  50 Stunden mit dem besten Menschen auf dieser Erde intensivst verbringen dürfen.
Und deshalb werde ich sie nie vergessen.


Ich vermisse und liebe meine Mama und hoffe, dass es ihr oben jetzt richtig gut geht.

Danke Mama, für diese schöne Zeit.

Jetzt bist Du an der Reihe: Lass es Dir gut gehen.

Ich liebe Dich ! Danke, dass ich Dein Sohn sein durfte !



*Update:

Mitte Juli / Anfang August ziehen wir in dei neue Wohnung. Deshalb habe ich mich entschieden, auch hier im Blog nochmals mein FundRaising zu veröffentlichen:

http://www.youcaring.com/memorial-fundraiser/funeral-of-my-mother-beerdigung-meiner-mutter/280359

Vielen Dank allen denen, die uns bereits unterstützt haben ! Vielen Dank ♥http://www.youcaring.com/memorial-fundraiser/funeral-of-my-mother-beerdigung-meiner-mutter/280359



6 Kommentare:

  1. .

    Ach lieber Michael, was soll man schreiben in einer solchen Zeit, was Dir Trost spenden könnte? Du hast so viel für Deine Mama getan, was nicht jeder Sohn, jede Tochter tun würde. Sie hat Deine Liebe und Fürsorge bis zum Schluss gehabt, mehr kann sich eine Mutter kaum wünschen.

    Was Du beschreibst von Anfang an, das ist letztendlich ein ganz normaler Sterbeprozess. Wir Menschen gehen so oft mit einem Schlaganfall ab. Heute wird nur viel öfter als früher noch gerettet bzw. kann gerettet werden. Also mache Dir keine Vorwürfe. Diese Dinge passieren einfach so.

    Sie ist jetzt gegangen und Du warst ihr ein sehr liebevoller Sohn und hast ausgehalten bis zum Schluss. Was die Beerdigung anbelangt, ob nun anonym oder Friedwald, tue was Du für Dich für richtig hältst. Die meisten Menschen wählen die anonyme Beerdigung, weil ihren Hinterbliebenen keine Arbeit machen, Verantwortung aufdrücken wollen. Wenn Dir es in Deiner Trauer gut tut, sie an einem Baum an einer Stelle beerdigt zu wissen, dann ist das richtig für Dich. Denn Du musst jetzt mit ihrem Tod leben und eine Stelle finden, an der Du mit ihr sprechen kannst, wenn Du magst. Deine Mama wird nichts dagegen haben, wenn es eine schöne Stelle im Friedwald ist. Das kann ich mir nicht vorstellen!

    Alles Liebe, viel Kraft und viel Tränen, die helfen jetzt nämlich sehr! Melde Dich, wenn Du etwas Hilfe oder Zuspruch brauchst.

    Du machst das alles ganz richtig!

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    1. Ich danke Dir ganz herzlich für die lieben Worte ♥

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  2. Aloha lieber Micha!

    Trost und Zuspruch sende ich Dir! Du hattest die Möglichkeit und das Glück, deine Mutter auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Und du hast das wirklich mit viel Liebe getan. Deine Mutter konnte in Frieden gehen, nachdem du intuitiv dafür gesorgt hast, dass auch ihr Bruder sich von ihr verabschieden konnte.

    Denke daran, nur der Körper ist vergänglich. Die Seele ist es nicht.
    Mehr möchte ich an dieser Stelle gar nicht sagen.
    Wir fühlen mit dir, lieber Micha und senden dir Kraft und positive Gedanken! Du bist ein ganz besonderer Mensch!
    Herzlichst Manuela und Frank mit Fixi Mausebär und Pupsylotta

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  3. Man kann es nicht besser ausdrücken als Creezy und Manuela. Ich finde auch, du hast dich ganz großartig verhalten und solltest weiter deinem Instinkt & Bauchgefühl folgen. Alles Gute & viel Kraft für die nächste Zeit!

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    1. Danke Dir.
      Es ist so toll, Menschen wie Euch kennen zu dürfen ! ♥

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